Die zehn skurrilsten Strandfunde in der Bretagne

Die zehn skurrilsten Strandfunde in der Bretagne

von Thomas Jermann
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Was gibt es Schöneres als an den endlosen Stränden der Bretagne entlangzuwandeln. Die starken Gezeiten sorgen dafür, dass der Sand täglich geglättet und gesäubert wird. Und jede Flut bringt Schwemmgut mit sich, das sich meist oben am Strand konzentriert. Dies sind die zehn skurrilsten Strandfunde.

Die Gezeiten der Bretagne sind vor allem an der Nordküste gewaltig. Zwischen dem Mont Saint-Michel und Morlaix können bei Voll- oder Neumond die Wassermassen mehr als 12 Meter steigen und fallen. Die grossen Wassermassen, die dabei verschoben werden, bringen eine Vielzahl von Pflanzen und Tieren, Schalen, Eiern, Gelegen oder auch Kadavern an den Strand. Es lohnt sich im Spülsaum am oberen Rand des Strandes zu stöbern.

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Die zehn skurrilsten Strandfunde


1. Rochen-Eier, «Nymphentäschchen»

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Die meisten Haie und Rochen legen Eier, die anderen gebären wie wir fixfertige Junge. Die eierlegenden Nagelrochen «bauen» sehr grosse hornartige Ei-Kapseln, in denen sich die Embryonen gut geschützt entwickeln können. Die Eikapseln heissen auch Nymphentäschchen… schön, nicht wahr? Die langen Hörner an den Ecken der Eikapseln dienen der Verankerung, und sorgen dafür, dass das Ei nicht fortgespült wird. Allfällig auftauchende Raubfische können den Embryo nicht riechen, denn die Kapsel ist zu Beginn sehr dicht. Später bekommt sie eine Sollbruchstelle, durch die das nun fertig entwickelte Jungtier schlüpfen kann.

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Sind die Jungen nicht superhübsch?

2. Haftorgan (Rhizoid) eines Sackwurzeltangs

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Was hier aussieht wie ein stacheliges Herz, ist die «Wurzel» des Sackwurzeltang Saccorhiza polyschides. Der Tang kann drei Meter und mehr lang werden und bildet mit anderen verwandten Algenarten dichte Bestände knapp unterhalb der Ebbelinie – die sogenannten Tangwälder.

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Die «Wurzel» ist keine echte Wurzel, denn sie transportiert kein Wasser und keine Nährstoffe. Sie dient lediglich der Fixierung der riesigen Alge am Untergrund. Damit die langen Algen in der Brandung nicht losgerissen werden, haben ihre Stiele kardanartig aufgebaute Gelenke knapp über dem Rhizoid.

3. Sternseescheide

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Eine Blümchenwiese im Meer? Weit gefehlt, die dekorativen Blumen- oder Sternmuster stammen von Stern-Seescheiden, kolonial lebenden Manteltieren, die auf Algen, Steinen oder Muschelschalen wachsen. Jede Kolonie besteht aus mehreren Individuen, die nennt man «Zooide», die rund um eine gemeinsame Ausströmöffnung angeordnet sind. Die Individuen saugen planktonhaltiges Wasser durch eine individuelle Einströmöffnung an und sieben daraus ihre Nahrung. Die Zooide können sich durch Teilung vervielfältigen, so entstehen die hübschen Blümchen!

Seescheiden sind mit uns verwandt! Sie haben zwar keine Wirbelsäule, aber im Larvenstadium eine Chorda. Die Chorda dorsalis ist das ursprüngliche Achsenskelett der Chordatiere, zu denen alle Wirbeltiere – Fische, Amphibien, Reptilien, Säuger und Vögel – aber auch die Seescheiden gehören. Die Chorda leitet in der Embryonalentwicklung vor allem die Bildung wichtiger Gewebe ein, danach bildet sich bis auf kleine Reste zurück.

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4. Seeohr – aussen nix und innen fix

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Das Seeohr möchte man gern «Muschel» nennen, es ist aber keine Muschel, sondern eine Meeresschnecke. Von aussen ist das Seeohr perfekt getarnt und fast unsichtbar, wenn es über die überwachsenen Felsen wandert und sich an den Rot- und Grünalgen gütlich tut. Manchmal aber spült die Flut ein gestorbenes Exemplar an, und dann sieht man die wundervolle Innenseite: Perlmutt vom Feinsten! Gibt es etwas Schöneres?

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Das Grüne Seeohr ist getrenntgeschlechtlich, es gibt also Männchen und Weibchen. Im Spätsommer geben die Seeohren Eier und Spermien ins freie Wasser ab, wo auch die Befruchtung stattfindet. Danach leben die winzigen Larven als Planktontiere, bis sie sich wieder eine schöne Küste als Wohnort aussuchen.

Das Grüne Seeohr ist übrigens eine echte Delikatesse! Im 19. Jahrhundert haben die Bestände durch Übernutzung aber stark abgenommen. Deshalb dürfen die schönen Tiere nur noch für wenige Wochen pro Jahr gefangen werden.

5. Eiballen der Wellhornschnecke

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Im Restaurant heissen sie «bulots», wissenschaftlich Buccinum undatum und auf deutsch Wellhornschnecken. Die 5-12 Zentimeter langen Meeresschnecken leben auf den Sand- und Schlammböden unterhalb der Gezeitenzone. Sie werden 15 Jahre alt und sind getrenntgeschlechtlich. Das Weibchen legt im Herbst faustgrosse Klumpen von mehreren hundert Eikapseln ab. Jede Kapsel enthält etwa 1000 bis 3000 Eier. Pro Kapsel entwickeln sich aber nur etwa zehn Eier, während die übrigen als Nähreier, also als Nahrung für die Schneckenlarven, dienen.

Wellhornschnecken sind räuberisch. Sie blockieren mit ihrem Schalenrand die Gehäuseöffnung einer Muschel und fressen deren Inneres auf.

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Die giftigen Schutzanstriche von Schiffen machten den Wellhornschnecken fast den Garaus. Wenigstens in grossen Teilen des Wattenmeers sind sie verschwunden, weil die Chemikalien bei Weibchen zur Ausbildung männlicher Geschlechtsorgane führten. Die Substanzen sind mittlerweile in den meisten Ländern verboten.

6. Haut, Panzer der Seespinne

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Der Panzer der Seespinnen gleicht einem Klettverschluss. An unzähligen Häkchen und Borsten bleiben Algen an der Seespinne hängen und wachsen fest. Mit der Zeit entsteht ein richtiger «Dachgarten» auf dem Panzer - das sieht ganz hübsch aus - und die Seespinne ist durch diese lebende Tarnkappe praktisch nicht mehr sichtbar. Sie wandelt als Algenbüschel getarnt über den Meeresboden.

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Sowohl der deutsche wie der französische Name – «araignée de mer» – sind irreführend. Seespinnen sind keine Spinnen, sondern Krebse, was an den zehn Beinen deutlich wird. Spinnen haben acht Beine und leben nicht im Meer.

Häufig werden im Sommer leblose Seespinnen an den Strand gespült. Meist handelt es sich dabei nicht um tote Tiere, sondern bloss um ihre harte Schale, die sie von Zeit zu Zeit erneuern müssen. Wächst die Seespinne, dann wird ihr der Panzer zu eng. Es muss unter dem alten ein neuer gebaut werden. Die Seespinne fährt förmlich aus ihrer alten Haut. Nachher ist sie butterweich und kann wachsen. Die ersten Tage nach der Häutung ist die Seespinne aber gefährdet, weil die neue weiche Haut noch keinen Schutz bietet. Den Möwen gefällt das…

7. Gelege der Nabelschnecke

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Die Halsband-Mondschnecke hat nicht nur viele Namen (Halsband-Nabelschnecke, Grosse Nabelschnecke, wissenschaftlich Euspira catena, oder Lunatia catena, sie ist auch sonst speziell. Meist sieht man von ihr jedoch nicht mehr als ihr Gelege.

Dieses sieht aus wie ein Halsband („Sandkragen“) und besteht aus Sand, Gallerte und Eiern. Die Eier sind meist zu viert von einer Eikapsel umschlossen. Daraus schlüpfen fertige Schnecken, sie umgehen also die sonst bei Meeresschnecken übliche Larvenzeit als Planktontier.

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Nabelschnecken überfallen nachts Muscheln und Schnecken, greifen sie mit ihrem muskulösen Fuss (LINK) und bohren sie mit ihrer Raspelzunge auf. Alles geschieht im Stillen im Sandboden.

8. Gelege des Kalamars und der Sepia

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Kopffüsser wie der Gemeine Kalmar oder die Sepia bauen wahre Kunstwerke, wenn es um die sichere Unterbringung ihrer Eier geht.

Die Weibchen des Gemeinen Kalamars Loligo vulgaris produzieren im Frühling bis in den Sommer hinein seltsame, wurstförmige, gallertige Schläuche. Diese sind mit tausenden von Eiern gefüllt und werden am Meeresgrund abgelegt und fixiert. Meist laichen die in riesigen Schwärmen lebenden Kalmare gemeinsam. Einige der seltsamen Gelege werden immer wieder an die Strände gespült.

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Etwas vorsichtiger sind die Zehnarmigen Tintenfische oder Sepien (Sepia vulgaris). Die Weibchen stricken die olivengrossen Eier Stück für Stück zusammen an Algenbestände oder Korallenstöcke. Damit sie farblich nicht auffallen werden die Eier mit einem Spritzer Tinte eingefärbt. Trotzdem werden auch hier, besonders nach starken Winden, Sepia-Gelege an den Strand gespült.

9. Kompassqualle

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Die Kompassqualle Chrysaora hysoscella wird vor allem in den Sommermonaten an die Strände der Bretagne und Südenglands gespült. Meist bewegen sich die wunderschön gemusterten Quallen nur wenige Meter unter der Wasseroberfläche. Das ist natürlich für alle Schwimmer nicht so toll, denn die Kompassquallen können bei Berührung heftige und schmerzhafte Reaktionen verursachen.

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Trotzdem sind sie spannend: Die Kompassquallen sind zwittrig. Aber auf eine eigentümliche Art: Sie entwickeln zuerst nur männliche Geschlechtsorgane, später sind sie sowohl männlich und wie weiblich, und abschliessend haben sie nur noch weibliche Fortpflanzungsorgane. Es ist sogar Selbstbefruchtung möglich! Die Eier werden im „Muttertier“ befruchtet, danach werden die Larven ins freie Wasser entlassen.

10. Muschelsammlerin

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Im unteren Drittel des Sandwatts lebt die «Muschelsammlerin», ein mariner Ringelwurm (Lanice conchilega). Zu sehen ist nur ein zwei bis drei Zentimeter hohes bäumchenartiges Gebilde, das aus dem Sand ragt, der Rest des meist 20 Zentimeter langen Ringelwurmes ist in einer senkrechten Wohnröhre versteckt. Bei Ebbe zieht sich der Wurm in den nassen Untergrund zurück, das «Bäumchen» aber bleibt stehen. Bei Flut filtert der Wurm damit Plankton aus dem Meer. Dieser Filterapparat scheint auf den ersten Blick nicht lebendig, sondern aus Stein zu sein, und tatsächlich: Er besteht aussen aus Sandpartikeln und Muschelstückchen, die die Muschelsammlerin mit einem leimartigen Sekret aus Hautdrüsen zusammenklebt. Im Inneren sind die feinen Kopftentakel des Wurms perfekt geschützt. Reine und schönste Architektur!

Wird das «Bäumchen» beschädigt, so wird es entweder repariert oder innerhalb weniger Stunden neu gemörtelt.


1. Rochen-Eier, «Nymphentäschchen»

2. Haftorgan, Rhizoid, eines Sackwurzeltangs

3. Sternseescheide

4. Seeohr

5. Eiballen der Wellhornschnecke

6. Haut, Panzer der Seespinne

7. Eibehälter der Nabelschnecke

8. Gelege des Kalamars und der Sepia

9. Kompassqualle

10. Muschelsammlerin

Thomas Jermann
Thomas Jermann
Ich bin Meeresbiologe und Fotograf. Ich biete private Strand-Führungen in der Bretagne, sowie Vorträge zu ausgewählten biologischen Themen an - für Deinen Verein, Deine Firma oder als Teil einer Veranstaltung.

11 Kommentare

Sandra Wellinghoff
Sandra Wellinghoff
Vielen Dank für die informative Seite! Ich habe sie zu Beginn unseres Bretagne-Urlaubs zufälligentdeckt und mich am Ende daran wieder erinnert, als ich ein Nymphensäckchen gefunden hatte. Ohne die Informationen hier, wäre es mir vermutlich nicht einmal aufgefallen. Vielen Dank!
Thomas Jermann
Thomas Jermann
Hey Sandra,

Vielen Dank für das nette Feedback!
Anna Bally
Anna Bally
Das hast Du wieder super gemacht. Jetzt weiss ich wieder einiges mehr über die Meerestiere. Vielen Dank, mach weiter so. Herzlichen Dank. Anna
Anna Bally
Anna Bally
Hesch wieder super gmacht, jetzt weiss i wieder e paar Sache mehr!!!
Viele Dangg und liebi Griess Anna
Lotte Wegmann
Lotte Wegmann
Danke für deine tollen Beiträge!
Ilse Clay
Ilse Clay
Sehr informativ und tolle Fotos, vielen Dank! Ich habe 20 Jahre in der Bretagne gelebt und durfte einige dieser Wunderwerke der Natur im Watt bewundern.
Ilse Clay
Ilse Clay
Sehr informativ und phantastische Fotos! Ich habe 20 Jahre lang in der Bretagne gelebt und einige dieser Wunderwerke gesehen. Vielen Dank!
Nils Kernbach
Nils Kernbach
Ich saug das förmlich in mich rein. Jedes Mal entdecke ich wieder etwas neues und kann das auf meinen Wattführungen gut vermitteln.
Grüße von der Nordseeküste, Halbinsel Butjadingen
Nils
Thomas Jermann
Thomas Jermann
Hallo Nils,

Das freut mich aber gewaltig!
Herzliche Grüsse Thomas
Anna Bally
Anna Bally
Thomas, das ist wieder einmal eine super Lektion von Dir. Vor allem auch wieder so gut verständlich, dass auch Banausen wie ich, alle Deine Erklärungen verstehen können. Toll mach weiter so, freue mich immer wieder auf Deine neuen Vorträge. Auch für die tolle Bebilderung, ein grosses Lob. Herzlich grüsst Dich Anna
Anna Bally
Anna Bally
Lieber Thomas
Bin einmal mehr aufs Neue begeistert, was Du wieder alles aus dem Meer in der Bretagne zusammengetragen hast. Einfach faszinierend, vor allem für Leute wie ich, die von den Lebewesen im Wasser praktisch keine Ahnung haben. Freue mich jedesmal wieder von Deinem grossen Wissen zu erfahren. Mit sehr herzlichen Grüssen bis zur nächsten Info. Anna

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